Verschwörungsgläubige, Vernünftige, schwarz, weiß oder bunt – welche Schublade darf es sein? Aktuell kursieren viele Erzählungen. Wir haben einen Artikel gefunden, der sich erfrischend offen und differenziert damit auseinandersetzt. Ein Blick hinter die Kulissen lohnt sich.
Wir haben ein Essay entdeckt, das sich erfrischend offen, ganzheitlich und differenziert mit dem Thema Verschwörungsglauben und anderen Erzählungen auseinandersetzt. Das Wichtige darin ist aus meiner Sicht, dass Anselm Neft in seinem Artikel „Von bösen Mächten wunderbar geborgen“ auf Zeit Online keine Schubladen bedient und keine einfachen Bilder zementiert. Weder gibt es die Verschwörungsgläubigen als klar umrissene Gruppe, noch gibt es die „Vernünftigen“, die sich einer (nicht existierenden) objektiven Realität verpflichtet fühlen. Stattdessen beleuchtet er, was sich psychologisch hinter den extremen Positionen abspielen könnte. Und dabei gibt es sehr viele Zwischentöne.
So ist es gut, wenn wir das, was um uns herum passiert, kritisch hinterfragen. Es gibt Dinge, die laufen einfach nicht, wie sie sollen und die Erfahrung lehrt uns, dass zu jeder Zeit Macht auch missbraucht wurde. Zugleich ist es wichtig, dass wir ein Stück weit auf die Gesellschaft und das Funktionieren unserer Systeme vertrauen können – ohne Vertrauen wäre ein friedliches Zusammenleben nicht möglich. In eine absolute Abwehrhaltung zu gehen, schürt Misstrauen, begünstigt dadurch Trennung und ein Gegeneinander und macht so als Gesellschaft handlungsunfähig. Zum anderen deutet der Autor an, dass wir Menschen, wenn wir meinen, uns auf der scheinbar sicheren, „vernünftigen“ Seite zu bewegen, letztendlich einem ähnlichen Glaubensmuster folgen können wie jemand, der sich in die scheinbare Sicherheit einer Vorstellung von konspirativen Kräften zurückzieht, gegen die man sich verbünden müsse. Auch der Glaube an die Vernunft kann uns in die Irre führen. Hier kann es ebenfalls psychologisch „entlastend“ für einen selbst sein, wenn ich mir nicht selbst eine Meinung bilden und in mich selbst hineinspüren muss – und stattdessen die Argumente und Positionen übernehme, mit denen ich mich auf der richtigen, „guten“ Seite wähne.
Reflexhaft zieht es uns Menschen zu solchen Schubladen, vorgefertigten Glaubensmustern hin – das zeigt sich auch in den Kommentaren zum Text des Autors. Es ist so verführerisch und es scheint uns Sicherheit und ein Zugehörigkeitsgefühl zu vermitteln.
Doch was heißt vernünftig? Was ist „richtig“? Wenn wir genau hinschauen, erkennen wir, dass es dieses „richtig“ nicht gibt. Es gibt keine objektive Realität und es hat sie nie gegeben. Wir schaffen alle gemeinsam unsere Realität, indem wir Informationen bewerten. Ob wir wollen oder nicht, sind unsere Sichtweisen immer mit unseren eigenen Wertvorstellungen untermalt. Und das heißt, sie können gar nicht objektiv sein. Entscheidend ist, dass wir uns viel mehr bewusst machen, dass wir unserem Denken und Handeln immer eine Wertvorstellung, ja letztlich ein Wünschen voranstellen.
Bemisst sich das, was wir für „richtig“ halten nicht daran, was wir uns für unsere Gesellschaft wünschen? Anders gesagt: Wenn ich mich einmal frage, warum ich an diese oder jene Sache glaube, komme ich automatisch auch zu einer Antwort auf die Frage, was ich mir für mein Leben und für das Zusammenleben in der Gesellschaft wünsche. „Sobald ich mir die Relativität der eigenen Sichtweise bewusst mache, habe ich es nicht mehr nötig, andere zu bewerten, abzuwerten oder zu überzeugen. Das ist Energieverschwendung und wir kommen letztlich nicht ins Handeln“ (Pat Peroni).
Im Diskurs geht es nie wirklich um Fakten – wenn wir etwas so und so glauben wollen, dann tun wir das. Der Ausweg aus diesem Glaubensdilemma kann sein, dass wir uns immer und immer wieder selbst hinterfragen. Warum möchte ich das glauben? Was in mir sagt, dass ich diese Sichtweise glauben soll? Welcher Teil in mir fühlt sich dazu hingezogen? Welche Stimme in mir spricht da? Welche Gefühle in mir springen an? Wenn wir mit einem Menschen konfrontiert sind, der uns mit seiner Perspektive sehr herausfordert, können wir ja einmal diese Fragen stellen. Und wir können uns selbst fragen: Was passiert eigentlich in mir dabei? Was macht es mit mir?
Suche ich nach einer Bestätigung meiner Sorgen und Ängste, oder traue ich mich auch einmal, sie zu hinterfragen, hinter den Vorhang zu gucken? Vorsicht: Dahinter könnte ich selbst zum Vorschein kommen und merken, dass ich eigentlich ganz gut selbst klarkomme und niemanden brauche, der für mich eine Meinung zurechtbastelt.
Machen wir uns selbst ein Bild!
Hier geht’s zum Essay von Anselm Neft auf Zeit Online.